Künstliche Intelligenz im Naturschutz

Optimiertes Seegras-Monitoring mit BOLKI

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Der Seegrasbestand ist ein wichtiger Indikator für den Zustand des Weltnaturerbes Wattenmeer in der Nordsee – und ein entscheidender Bereich für den Jungfischaufwuchs. In Schleswig-Holstein überwacht der Landesbetrieb Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN.SH) den Seegrasbestand anhand von Satellitenfotos und direkt im Watt stichprobenartig aufgenommener hochauflösender Segmentbilder vom Boden des Wattenmeers. Bei der Auswertung dieser Bilder hilft ein neuronales Netz, das Dataport mithilfe maschinellen Lernens aufgebaut und trainiert hat: Die Anwendung „Bildorientierte Objekterkennung in der Landwirtschaft mittels KI“ (BOLKI). Jörn Kohlus ist Geograph, Fernerkundler und Botaniker vom LKN.SH in Tönning. Im Interview berichtet er über die Erfahrungen und den Nutzen der KI-Anwendung für den Naturschutz.

Herr Kohlus, wie lief das Seegras-Monitoring früher und was war das Problem an der Methode?

Das traditionelle Verfahren in der Botanik seit 100 Jahren ist die optische Abschätzung des Grades der Bodenbedeckung der vorkommenden Arten. Ebenso wurde beim Seegras vorgegangen. Auf Laufstrecken wird an den per GPS bestimmten Probeorten die Bedeckung eingeschätzt und damit das Artvorkommen quantifiziert. Diese Detailaufnahmen werden für die Kontrolle und Eichung der großräumig mittels Satellitenbildern erfassten Seegrasbedeckung genutzt, die Satellitenbilder unterliegen unterschiedlichen atmosphärischen Bedingungen und anderen verfälschenden Einflüssen. Das Problem dabei war, vergleichbare Daten zu erheben. Denn Menschen schätzen Zustände des Bodens natürlich unterschiedlich ein. Auch ich selbst gucke nach vielen Kilometern durch das Watt anders als am Anfang der Tour. Jetzt setzen wir die bildorientierte Objekterkennung von Dataport ein. Das heißt: Wir machen Fotos vom Wattboden und lassen diese anschließend von der KI-Anwendung auswerten. Dadurch bekommen wir vergleichbarere und objektive Einschätzungen.

Von KI-Anwendungen erhofft man sich in der Regel qualitative Effekte und Effizienzgewinne. Wie sieht es in diesem Fall aus?

Effizienz war für uns nicht das Ziel, sondern Qualitätsgewinn. Wir gehen immer noch raus ins Watt. Das Monitoring ist sogar etwas langsamer geworden, da wir hochwertigere Bilder erstellen und Auswertungen hochladen. Der große Gewinn sind die Reproduzierbarkeit und die Vergleichbarkeit der Bewertung. Zum einen beurteilt der Algorithmus konstant. Zum anderen bauen wir über die Jahre einen Bildschatz auf, der eine Vergleichbarkeit der Daten ermöglicht und quasi wie Eichung unserer Messung wirkt.

Datenqualität ist für jede digitale Anwendung entscheidend. Was ist bei der Bilderstellung für die KI-Auswertung des Seegrases wichtig?

Wir laufen an jedem Aufnahmeort einen zehn mal zehn Meter großen Bereich ab und machen dort bis zu 20 Bilder vom Wattboden. Dabei passen wir auf, dass keine Fußstapfen oder Füße zu sehen sind oder Wasserreflexionen oder aufgewirbelte Sedimente die Auswertung des Bildes beeinflussen. In der Praxis hat sich herausgestellt, dass Smartphone-Fotos wegen der automatischen Bildoptimierung für unsere Zwecke nicht ausreichen. Deshalb nutzen wir eine gute Systemkamera.

Wie entwickelt sich die Lernkurve der KI-Anwendung? Lernt das System automatisch dazu?

Wir lassen den Algorithmus nicht automatisch lernen, weil das KI-Ergebnisse auch verschlechtern kann. Zum Beispiel werden häufige Zustände gegenüber selteneren Zuständen überbewertet. Bei uns hieße es, dass nur mittlere Bedeckungsgrade gut erkannt werden. Für uns sind aber auch unübliche Ausprägungen wichtig, weisen doch gerade diese auf ggf. problematische Entwicklungen hin. Das ist ein generelles Problem von selbstlernender KI. Deshalb schauen wir uns Fälle genau an, wo wir mit dem Einschätzungsergebnis nicht zufrieden sind und trainieren das System dort gezielt nach. Wir steuern so das Lernen des Algorithmus ganz genau, damit er auch Sonderfälle so gut einschätzen kann wie häufig vorkommende Zustände. Darüber hinaus können wir gelegentlich mit dem gesammelten Bildmaterial die KI nachtrainieren, müssen danach jedoch alle bisherigen Daten neu analysieren. Diese optimierten Daten sind dann mit künftigen noch besser Messdaten vergleichbar. Eine solche nachträgliche Verbesserung von Beobachtungsauswertungen konnten wir beim manuellen Schätzen nicht machen.

Gibt es in Ihrem Arbeitsbereich noch weitere Anwendungsfälle, in denen Ihnen KI helfen könnte?

Ein sehr naheliegender Anwendungsfall wäre die Beobachtung von Algen. Die sind für das Seegras-Monitoring primär ein Störfaktor, da Algen und Seegras auf Bildern sehr ähnlich wirken. Aber wir brauchen die Quantifizierung verschiedener Algen . Ökologisch wirken sie wie ein Gegenspieler zum Seegras und weisen meist auf einen zu hohen Nährstoffgehalt im Wasser hin. Da wäre es schön, wenn wir eine KI-Komponente für die Algenbedeckung entwickeln könnten.

So funktioniert BOLKI

Die Anwendung BOLKI hilft dabei, Seegras im Wattenmeer mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) zu erkennen. Dafür wurde die KI mit etwa 20.000 Bildern von Seegras trainiert. Die KI basiert auf einem sogenannten neuronalen Netz. Diese spezielle Computertechnik besteht aus vielen „Knotenpunkten“ (Neuronen), die miteinander verbunden sind und gemeinsam lernen, Muster in Bildern zu erkennen. Die KI analysiert jeden Bildpunkt und dessen Farbe ganz genau. Sie arbeitet dabei in mehreren Schritten: Zuerst werden einfache Dinge wie Kanten, später auch komplexere Muster erkannt. So wird Seegras von anderen Pflanzen mit ähnlichen Farben unterschieden. Am Ende berechnet die KI, wie viel Seegras an jedem Messpunkt zu sehen ist. Außerdem gibt sie an, wie sicher sie sich bei ihrer Einschätzung ist. Das hilft den Experten dabei, die Ergebnisse besser einzuschätzen.